Ah, schwer ist es, so mit der Natur zu leben und der Natur ihren Lauf zu lassen! Sich Sorgen zu machen, ob die Vogeleltern es auch schaffen, das Futter gerecht auf alle Jungen zu verteilen, ob auch niemand zu kurz kommt, ob sie es überhaupt schaffen, genug zusammenzutragen. Den unaufhörlich jagenden Eltern nicht helfen zu können, die vielleicht selbst nicht zum Essen und sicher nicht zur Ruhe kommen – und wenn ich sie einmal kurz nicht höre oder sehe, die Sorge, ob ein Raubvogel sie erwischt hat. Meine Katze hat eingesehen, dass sie nicht an das Nest herankommt. Die eigentliche Enttäuschung war allerdings, dass ich mich dumm stelle und ihr tatsächlich diesmal nicht den Gefallen tue, meine Schulter als Steighilfe oder Operationsbasis anzubieten. Ein herber Verrat an unsere Freundschaft, und auch für mich nicht einfach, wenn ich ihre Begeisterung sehe…

Der Specht, oder vielmehr die Spechtin, hat mich doch kurz zum Grübeln gebracht: wenn ein Specht am Meisenknödel hängt, hat das bisher immer bedeutet, dass spätestens am nächsten Tag ordentlich viel Schnee fällt. Da das Frühjahr ja schon recht kühl ausfiel, und nichts mehr ausgeschlossen scheint, hatte ich ein komisches Gefühl. Jetzt geht es aber darum, sich mehrmals am Tag den Schnabel zu füllen und das Proviant mitzunehmen. Wahrscheinlich, um damit die Jungen zu ernähren? Eine Kohlmeise, die einen Anfall bekommt, wenn es an der Futterstation nun doch nichts mehr gibt. Und schon kurze Zeit später hat sie mich überzeugt, und ich fülle nach: denn auch hier werden Kerne säuberlich abgeschält und dann mitgenommen. Es kommt bald mit viel Geschrei ein ganzer Schwarm Meisen, ich habe einen Festtag ermöglicht!

Der schönste Moment aber ist das abendliche Bad, wenn alle endlich einmal Zeit für sich selbst zu haben scheinen, und so genüsslich und völlig unbeschwert, ganz weltvergessen in einem Blumenuntersetzer voll Wasser planschen! Man spürt förmlich, wie die Anspannung des Tages abgewaschen wird. Ja, Wellness ist wichtig.

Gestern war der grosse Tag: das vertraute, sehr laute Gezeter der jungen Rotschwänzchen, das ich fast im ganzen Haus hören kann, war aufgeregt wie immer. Als ich zwischendurch zur Mauernische sah, war da aber nicht ein Elternteil, das gerade kam oder ging, sondern ein gedrungenes, rundes, recht breites Geschöpf mit einem kleinen, breiten Schnabel, das da sass und vor sich hin piepste. Das musste ich natürlich vorsichtig im Auge behalten, und etwas später hockten da zwei! Beide wirkten so dick und rund, dass das Lüftungsloch in der Hauswand gut gefüllt war. Sie fiepten und machten Kniebeugen wie richtige Rotschwänze! Die Eltern waren in der Nähe, brachten nun aber kein Futter mehr zum Nest, sondern flogen scheinbar eine Kür -bis ein kleiner Knäuel den Absprung wagte, mit den kurzen Flügeln flatterte und tatsächlich in der Luft blieb! Als die Mutter noch ein paarmal vorbeitauchte, folgte das zweite, ab ging es über den Zaun und in die grosse weite Welt, in den umgefallenen alten Apfelbaum, wo ich die Warnungen der Eltern nun fast ununterbrochen durch die Luft hämmern hörte…

Ganz vorsichtig habe ich eine Weile später von der Vorratskammer aus durch das Gitter in das Loch geguckt: eindeutig war da noch ein breites, rundes Vögelchen. Und da machte ich mir schon wieder Gedanken, ob der Nachzügler nun hungernd zurückbleiben würde, ob nun keiner mehr Zeit für ihn hätte. Fragt mich schon, ob ich ihm irgendwann mit der Pinzette lebende Insekten verabreichen könnte… Aber das war jetzt bestimmt noch nicht nötig, und bald sass auch dieser kleine Federball in der Maueröffnung. Und fiepte. Vater flog immer wieder mal in einer Schleife vorbei, oder setzte sich aufgeregt schimpfend in die Himbeersträucher, wenn meine Katze oder ich oder wir beide und auch noch meine Kamera in Sichtweite waren… ich hielt mich im Hintergrund, und doch spähte ich immer wieder hinüber, lauschte ganz genau. Und überlegte, dass es offenbar nur drei Vögelchen gewesen waren, die das Haus jeden Tag mit soviel Geschrei gefüllt hatten… Der Kleine hockte in der Öffnung, federte in den Knien, drehte sich manchmal um und zog sich wieder kurz zurück. Vielleicht in der Hoffnung, dass Mama doch wieder einen fetten Wurm ans Bett bringt? Und dann hockte er wieder da, fiepte,wippte. Die Sonne ging schon unter, als beide Eltern wieder vor dem Kleinen durch die Luft tauchten. Ergebnislos. Das hier war ein Nesthocker! Was, wenn er es tatsächlich nicht wagen würde?

Es war noch hell, der Abend sogar warm, als ich vorsichtig das Fenster oberhalb vom Nest geöffnet habe. Und da – vielleicht vor Schreck – flog der Kleine los! Papa war sofort an seiner Seite, und ab ging es über den Garten. Geschafft! Auf eigenen Flügeln hinaus ins Leben. Nun ist es im Haus ganz still geworden. Und der Platz auf dem Gefrierschrank hat für meine Katze den Reiz verloren.