Wir kennen uns ja nun schon ein paar Jahre. Ich war immer beeindruckt von seiner Sanftmut und Friedfertigkeit. Meine Katze reagiert zwar nach wie vor manchmal genervt, versteht sich aber eigentlich ganz prima mit ihm. So haben wir ihn auch willkommen geheissen, wenn er gelegentlich ins Haus kommen wollte. Im Sommer legte er sich schon manchmal bei Regenwetter ins Wohnzimmer, um dort den Tag über zu dösen. Aber über Nacht blieb er nie – da fürchtete er um seine Freiheit, um seine Unabhängigkeit.

Dieser äusserst hartnäckige Winter hat die Lage allerdings geändert. Bei so viel Schnee, so anhaltender und gnadenloser Kälte, haben ihn die Vorteile eines gemütlichen – wenn auch nicht immer warmen – Zimmers in einem relativ gemütlichen und trockenen Haus doch überzeugt. Während sich das ganze Leben notgedrungen in der geheizten Küche abspielt, wo die zu langsam trocknende Wäsche sich den Platz mit Laptop, Büchern und Unterlagen sowie normalen Küchenutensilien teilen muss, liegt er nun den ganzen Tag lang auf der Eckbank, und den ganzen Abend noch dazu. Sobald ich mich setze, um zu schreiben, zu essen, oder einfach nur zu sitzen, fällt er regelrecht über mich her, erwartet, dass ich nur noch für ihn da bin, ihm die Füsse wärme, die Kissen aufschüttele… und irgendwie erinnert sein Ausdruck mich doch hin und wieder an die unsterblich abgedroschene Phrase: Wo bleibt mein Bier? Abends sucht er sich dann irgendwann ein Spielzeug und zieht auf dem Küchenboden eine Show ab, die sogar meine Katze völlig in den Bann zieht.

Ganz ehrlich: seine Anwesenheit stört unsere harmonische Symbiose, unsere bewährten Schlafgewohnheiten. Auch wenn meine Katze oft einen ungemütlich grossen Teil der Bettdecke beschlagnahmt, arrangieren wir uns doch ganz automatisch. Es ist einfach anders, wenn er da ist – meine Katze zögert mit dem Schlafengehen, will die Dinge im Auge behalten, und ich lausche ganz genau darauf, wer wo und wie durchs Haus schleicht. Springt er dann auch noch steifbeinig und schwer zu uns aufs Bett, fahren wir beide alarmiert hoch, verscheuchen ihn und fühlen uns überrumpelt.

Wenn es ihm reicht mit der Häuslichkeit, setzt er sich ganz still und brav hin und seufzt und starrt mich an: Lass dich nicht stören, ich bin gar nicht da, beachte mich gar nicht! Ich werde einfach hier sitzen, bis du Zeit für mich hast! Bis diese Dauerhypnose mich weckt und ich es auch nicht mehr schaffe, seine überdeutliche Präsenz bewusst zu ignorieren. Da muss ich eben vor dem ersten Morgengrauen aus dem warmen Bett in die unbarmherzige Kälte, um die Tür zu einer noch viel kälteren Welt zu öffnen. Und er dreht sich um und will spielen, lädt mich ein, mit ihm die Winternacht zu erkunden! Das lohnt sich auch bestimmt, aber ich kann mich wirklich nicht überwinden…

Wenn es ihm allerdings einmal nicht gelingt, mich wachzuseufzen, und mir irgendwann ins Bewusstsein sickert, dass er schon seit geraumer Zeit kraftvoll die Tür bearbeitet, wird es für ihn zu viel. Das sitzt so tief, dass er für mehrere Tage – und Nächte – nicht mehr riskieren will, so eingesperrt und ausgeliefert zu sein. Schliesslich ist das ganze Revier der Wilkür preisgegeben, wenn er nicht nach dem Rechten sieht… Und damit hat er sogar recht. Da trägt er eine nicht unerhebliche Verantwortung.

Jedenfalls ist es für uns alle die beste Lösung, wenn er seine Junggesellenwohnung beibehält – den Keller, wo sein eigenes warmes, weiches Daunenbett steht und wo er ungehindert kommen und gehen kann, ohne erst fragen oder sich rechtfertigen zu müssen… Auch, wenn ich dann wieder ein schlechtes Gewissen habe, obwohl es dort unten nicht kälter wird, als hier im Haus. So schätzen wir uns gegenseitig umso mehr, wenn wir unseren Freiraum behalten können.