Schon mal für eine Kuh gesorgt? Die brauchen ganz schön was. Wie kommt man überhaupt dazu, eine artgerecht lebende Kuh mitten auf der Weide zu füttern? Was für eine Geschichte! Sie hat sich mitten im Sommer abgespielt. Ich habe nur abgewartet, wie alles ausgeht, ob ich ‘meine’ Kuh wiedersehe…
Es war einer der wenigen richtig heissen Tage. Brennende Sonne, stickige Luft. Ich kam gerade nach Hause gefahren, als ich sie liegen sah. Eine Kuh, wie hingeworfen in der prallen Sonne, bewegungslos. So etwas Besonderes ist das nicht, wenn der ganze Bereich um das Haus herum als Kuhweide verpachtet ist. Nur, dass Kühe an solchen Tagen durchaus den Schatten aufsuchen. Hier haben sie zum Glück die Möglichkeit. Nur, dass ich diese Dame schon ein paar Tage beobachtet hatte, und was ich sah, gefiel mir nicht. Schon einmal hatte ich einen Eimer Wasser für sie angeschleppt, als sie, praktisch an einen Baum gelehnt, den ganzen Tag an der selben Stelle ausgeharrt hatte, während die Herde ihre Runden drehte, um zu grasen. Der Eimer wurde jedoch ignoriert, und die Kuh machte sich auf den Weg. Alles Bestens also, oder?
Bald fiel mir auf, dass sie stark humpelte, mit einem Bein fast gar nicht mehr auftreten konnte und wieder nur an einem Fleck blieb. Sie war zwar draussen auf der Weide, aber ringsherum gab es nur ein wenig kurzgefressenes Gras – Kühe ziehen den ganzen Tag ihre Runden, um genug zu fressen zu bekommen. Ich musste dringend den Bauern anrufen, obwohl ich mir nicht viel davon versprach. Nutztiere werden eben als genau das betrachtet: sie sollen von Nutzen sein, sonst sind sie wertlos. So läuft das, und dies immer wieder bestätigt zu sehen, ist einer der grossen Wermutstropfen im romantischen Landleben. Am nächsten Morgen waren die beiden Söhne da – scheuchten die Kuh auf, die sich hastig, aber sehr mühsam erhob und ein Stückchen weiterhumpelte. Als ich mich erkundigte, sagten sie mir, sie würden dem Vater Bescheid geben. Nun ja, als ich an diesem Nachmittag heimkam, lag die Kuh wie hingeworfen in der prallen Sonne. Mir wurde ganz schwer zumute – es sah aus, als wäre sie schon erschossen oder eingeschläfert worden, und müsste nun abtransportiert werden. Als ich hinging, schien sie zu atmen, reagierte aber nicht. Sofort habe ich mir einen Eimer geschnappt, ihn am Brunnen gefüllt und bin zu ihr hin geklettert. Nun gab es deutliche Reaktionen, oder zumindest entsprechende Versuche; sie schaffte es kaum, den Kopf zu heben. Der Eimer liess sich aber ganz gut platzieren, sie liess die Schnauze ins Wasser sinken und machte einfach nur einen langen, saugenden Zug. Eimer leer, ein genüssliches Schmatzen und Triefen, etwas Leben in den Augen. Also brauchen wir Nachschub. Nach dem zweiten Eimer versucht sie ihre Position etwas zu verändern und sieht mich so flehend an, dass ich gleich wieder loslaufe. Auch der dritte Eimer wird leergesaugt. Der Körper wirkt nicht mehr leblos, die Haltung ist schon eine ganz andere. Ich rufe den Bauern wieder an, denn zurecht kommt diese Kuh trotzdem nicht, sie wird in der Sonne gebraten und Hunger muss sie auch haben. Als er später auftaucht, schicke ich ihn gleich nochmal mit einem Eimer los. Er scheucht die Kuh auf und jagt sie, halb fallend, halb strampelnd, zu einem Platz in der Nähe des Wassertrogs. So weit, so gut. Spät am Abend liegt sie noch genau dort, wo sie sich hinfallen hat lassen. Ich erbarme mich und reisse so viel wie möglich hohes Gras und Gestrüpp aus, schlüpfe durch den Zaun und werde von einem gierigen Schnaufen begrüsst. Dieser Imbiss ist so willkommen!
Als ich noch öfter ein und aus gehe, folgt sie mir mit den Augen. Am nächsten morgen liegt sie immer noch, und hebt erwartungsvoll den Kopf, als ich herauskomme. Was bleibt mir übrig? Sofort nehme ich die Sense, und an einer bisher ungemähten Böschung fülle ich einen riesigen Korb mit frischem Futter. Die Freude ist gewaltig, auch wenn sich schwer wiedergeben lässt, wie eine liegende Kuh sich freut: das Aufwerfen des Kopfes, das Entgegenstrecken, die Art des Schnaufens, der ganze Ausdruck. Ein Schmatzen und Schmausen, aber so schnell ist alles verzehrt. Und jede meiner Bewegungen wird von Sehnsüchtigen Kuhaugen verfolgt.
Und so sollte es weitergehen: ich ging schon sparsam mit den Stellen um, die ich noch frisch für sie mähen konnte, und holte ihr zusätzlich Zweige mit frischem Laub, suchte mir Stellen im Garten, die noch etwas hergab, so dass sie zusätzlich zum Unkraut aromatische Kräutermischungen bekam, wenn die jeweiligen Stauden gestutzt werden konnten. Inzwischen fiel sie mir – auf ihre Art – schon beinahe um den Hals, wenn ich zu ihr kam. Ich musste jeweils abwarten, bis die anderen Kühe weit genug waren, denn die hatten natürlich auch nichts gegen frisch serviertes Essen. Und so gingen die Tage dahin… Ich fühlte mich zunehmend befangen, weil ich merkte, dass ich auch im Haus, wenn ich mich am Fenster zeigte, von sehnsüchtigen Kuhaugen verfolgt wurde. Nie reichte es, und viel gab es nicht mehr zu mähen. Sie war schrecklich mager. Dort, wo sie lag, war ringsum nur noch nackte Erde und Kuhscheisse. Also doch wieder den Bauern anrufen, der sich nicht mehr gezeigt hatte. Ich habe mir Mühe gegeben, ihm klarzumachen, dass diese Kuh dringend Futter und Wasser braucht (ich hatte ihr wieterhin Wasser in Eimern gebracht).
Am nächsten Vormittag wurde sie abgeholt, ich habe es gar nicht mitbekommen. Es ging mir durch und durch, wenn ich an die Schmerzen denke, die der Heimweg dieser Kuh bereitet haben muss. Mich begann das schlechte Gewissen zu quälen: wenn es auch noch so unrealistisch war, vielleicht hätte ich sie einfach weiterhin versorgen sollen. Wenigsten lag sie draussen und hatte ihre Artgenossen um sich herum. Immer wieder kam eine der Kühe, um sie anzustupsen, ihr über den Kopf zu lecken und ihr eine Weile Gesellschaft zu leisten. Nun würde man wahrscheinlich kurzen Prozess mit ihr machen…
Es hat gedauert, mehre Wochen sogar. Inzwischen war die ganze Herde auf einer anderen Weide. Als das Gras hier wieder nachgewachsen war, und die Kühe wieder eintrafen, konnte ich sie nicht gleich entdecken. Nie konnte ich die einzelnen Kühe gut genug sehen, um mir ganz sicher zu sein. Aber sie war da. Meine Kuh war mit dabei!
Es gab wieder einen Tag, an dem sie sich nicht von der Stelle rührte, nicht auftreten wollte. Aber das ging vorbei. Nun scheint auch etwas mit dem neuen Stier zu laufen. Wenn sie sich nur nicht wieder weh tut. Und dann die zusätzliche Belastung einer Schwangerschaft… Aber halt! Sie ist wieder auf den Beinen. Es geht ihr gut. Ihr Privatleben geht mich gar nichts an. Nur manchmal fühle ich mich beobachtet. Dann steht sie da, sieht mich sehnsüchtig an und hofft, dass ich ihr das Essen serviere…
Gott, ist das eine anrührende liebe Geschichte! Ich freue mich sehr für die Kuh, dass es ihr wieder gut geht, und dass sie gerade dich mit deinem großen Herz für Tiere um sich hat. ♥
Ja, wir leben hier nicht allein… Es ist ein Glück, manchmal wirklich helfen und ein wenig beitragen zu können. Und auch ein gewaltig gutes Gefühl, von einer Kuh mit anderen Augen gesehen zu werden.
Eine berührende Geschichte, Jasmin. Schön, dass du dich so gekümmert hast. Herzliche Grüße, Maria (Mary Bluebird)
So shön, Dich hier zu sehen! Vielen Dank für das Miterleben und für Deine herzlichen Worte!