Nun schneit es Blütenblätter, die Sonne wärmt, ich fühle mich wie angekommen im Auge des Sturms, muss meine Mitte erst noch finden…
Ich war in der grossen, weiten Welt, ich fand es etwas verstörend. Und das ist eine Untertreibung. Darauf war ich einfach nicht vorbereitet. Ich hatte mir eine Strategie zurechtgelegt, was die beste Reihenfolge der Einkäufe betrifft, ich hatte meinen Mundschutz (von meiner Mutter genäht und extra per Post geschickt!), ich hatte sogar Desinfektionsmittel und Einweghandschuhe. Ja, ja, ich weiss, ich bin trotzdem der Meinung, Vorsicht ist kein Fehler, und wenn man die Möglichkeit hat, sollte man sie walten lassen. Schliesslich möchte ich auch weiterhin meine Welt hier oben geniessen können.
Ich war auf so Vieles gefasst, darauf, das alles anders ist, in welcher Form auch immer. Aber darauf war ich nicht gefasst. Schon auf der Strasse befiel mich echte Verwirrung: woher kamen all die Berichte, die Bilder, von ganz stillen Verkehrswegen, auf denen Mensch und Tier gemütlich spazierengehen können? Hier waren mehr Autos als sonst. Welchen triftigen Grund gab es wohl für so viel Betriebsamkeit um diese Kleinstadt, eigentlich nur ein belangloser Ort mit einem Übermaß an Supermärkten? Bei der Apotheke ist es ruhig, aber bei den Geschäften sind die Parkplätze voll, überall sind Menschen… Das ist es, was mich aus der Fassung bringt: alles ist wie immer. Nichts ist anders, ausser, dass all diese Menschen eine MNS-Maske linkisch, neckisch, irgendwie im Gesicht hängen oder am Hals baumeln haben. In den Geschäften kämpfe ich mit einer Art Klaustrophobie: es wird gedrängt, fast gerempelt, es ist ein richtig geselliges Miteinander, fast Körper an Körper… die Feinkostabteilung kommt erst gar nicht in Frage, und auch an anderen Produkten gehe ich vorbei, weil ich einfach nicht mit diesen Menschen auf Tuchfühling gehen kann. Nicht jetzt. Nicht so. Auch sonst nicht gern. Dies ist kein Drängen, weil Knappheit herrscht, keine Betriebsamkeit, um Hamsterkäufe zu tätigen. Alles ist eben ‘ganz normal’, nach früheren Massstäben, es ist einfach nur mehr los. Die Menschen haben Zeit. Nur ich hamstere, denn ich kann der Vorstellung nicht wiederstehen, mich wieder für einige Zeit zurück zu ziehen…
Dies alles widerspricht so sehr den Berichten von einer stillen, leeren, Welt, von Menschen, die sich zurückziehen, die Verzicht üben, diszipliniert Abstand halten… Nein, ich möchte nicht, das alle Angst haben. Ich verlange nicht, dass alle sich zurückziehen. Für mich aber ist es eine Selbstverständlichkeit, die auf Respekt gründet, meinen Mitmenschen noch mehr Raum zu lassen. Vielleicht ist diese gemütliche Betriebsamkeit auch eine Äusserung des Landlebens, wo man sich kennt, wo man sich nicht vorstellen kann, dass bei jemand, der so ist wie immer, etwas nicht stimmen könnte… Dieses zwanghafte so sein wie immer – es ist keine Böswilligkeit. Meiner Erfahrung nach ist es die Angst, aus der Rolle zu fallen, und sich damit der Lächerlichkeit preis zu geben, die alles Andere überwiegt. Die in vielen Lebenslagen das Reagieren oder Teilhaben verhindert, denn dafür gibt es kein Drehbuch. The Show must go on, auch wenn das Stück längst ein anderes ist, die Kulisse fremd.
So geht es mir in meiner Fassungslosigkeit gar nicht nur um Ansteckungsgefahr, um die Situation an sich, sondern um Enttäuschung. Enttäuschung über den Mangel an Anpassungsfähigkeit, aber auch an Respekt, den vielleicht nur ich empfinde. Es geht um eine nur subtile Verhaltensänderung, den nicht einmal diese Zeit des Ausnahmezustands hervorbringen kann. Und Respekt kann erst über den Umweg des Verstehens entstehen. Die unschlagbare Fähigkeit des Menschen, sich vor Veränderungen – und vor sich selbst – zu verschliessen. Während ich mich vor der Welt verschliesse, in dem ich mich zurückziehe – und Veränderungen erhoffe. Veränderungen verschiedenster Art, die einen Respektabstand im Supermarkt bei weitem übersteigen. Veränderungen, die nur sehr indirekt mit dieser Krise zu tun haben, aber eine positive Folge sein könnten. Und die wohl doch noch nicht zu erwarten sind.