Immer wieder wundere ich mich hier aufrichtig über Reaktionen aus dem Umfeld. Über die Dinge, die Menschen in meiner direkten Nachbarschaft zu beschäftigen scheinen. Ich bilde mir gern ein, so Vieles zu verstehen, aber hier verstehe ich so Vieles dann doch nicht… Dinge, die ich in meinem Erleben nicht nachvollziehen kann.
Wenn jemand erfährt, das ich allein lebe, lautet die Reaktion ausnahmslos: Hast Du keine Angst? Gefolgt von ganz freimütigen Bekundungen, es sei doch immer unheimlich und ganz unlustig, wenn man allein zu Hause ist. Im eigenen Haus am hellichten Tag. Ich habe schon mal geantwortet: Mir würde es viel mehr Angst einflössen, dauernd unter Menschen zu sein… Hast Du keinen Hund? Ich hab Angst vor Hunden. Was nicht stimmt, zumindest in den meisten Fällen nicht. Wenn man aber bei jeder Begegnung mit seinen Mitmenschen solche Fragen gestellt bekommt, gönnt man sich etwas künstlerische Freiheit. Wenn ich von Reisen spreche, die ich alleine gemacht habe, oder nur von Abendspaziergängen… wenn ich erwähne, etwas gesagt oder gefragt zu haben: fast immer lautet die Erwiderung: Hast Du denn keine Angst?
Ist es die kichernde Angst, die hier gemeint ist, die Angst, die Kindern einen Kitzel bringt, da sie Spannung, aber zugleich die Aussicht auf Zuflucht und Trost birgt? Ein tabuartiger Reiz, mit dem man schäkert? Während Furcht, die dunkle, echte, verleugnet bleiben will.
Denn jetzt plötzlich, in diesen seltsamen Zeiten, beteuert man einhellig, keine Angst zu haben. Wenn man nun, über sämtliche Gartenzäune hinweg, die Nachbarn fragt: Geht ihr jetzt weniger oft einkaufen? Oder gar: Wenn Du in die Stadt musst, nimmst Du dann Mundschutz und Handschuhe? Da lautet die Antwort ausnahmslos: Nein, ich habe ja keine Angst! Haben alle vor so vielen Dingen Angst, dass man sogar Angst davor hat, Angst zu haben? Oder beteuert man sich gegenseitig, wie pfeifende Kinder alleine im Wald: wir haben keine Angst? Werden hier Vernunft und schlichte Risikobewertung mit Angst verwechselt?
Vielleicht habe ich ja den springenden Punkt übersehen: vielleicht ist es die Angst vor dem Alleinsein, die allgegenwärtig ist. Mit dem Coronavirus ist man ja nicht allein, sondern in einem Zustand regelrechter Überbevölkerung…
Ein Problem ist definitiv, dass wir gar keinen echten Grund für Angst mehr kennen. Angst, was falsches zu sagen, Angst, auf einer Party niemanden zu kennen, Angst, in den Social Media gemobbt zu werden… Natürlich hat es sie immer gegeben, die lebensbedrohenden Situationen dieser Welt. Die Art der Angst in unserem Alltag fiel aber in die Kategorie: Stell Dich nicht so an. Spring über Deinen Schatten. Trau Dich einfach. Du wirst es überleben. Was soll schon sein? Dass sich das jetzt geändert hat, können wir nicht fassen oder wollen wir nicht wahrhaben. Diese kleine Bedeutungsverschiebung zwischen: Angst ist Unsinn und: Angst macht Sinn (weil sie eine reale Schutzfunktion hat) können wir nicht von einem Tag auf den anderen verdauen.
Guter Artikel! Mit dieser Angst vorm allein spazieren gehn bin ich auch schon oft konfrontiert worden – “du gehst ganz allein? Das würd ich nie machen…”. Und überhaupt “allein in den WALD? Hast du keine Angst??” Nein, ich fühl mich im Wald total geborgen und geh am allerliebsten ohne Begleitung, weil ich die Natur so am intensivsten genießen kann.
Energie folgt der Aufmerksamkeit – das, was ich fürchte, ziehe ich an. Und ich wähle für mich lieber Vertrauen und Freude im Moment…
Wundervoll… genau so!!!