Krähen sind unglaublich faszinierend. Sie sind noch da – trotz der Dauerbeschallung aus der Hütte oberhalb von uns. Ihre Basis, ihr Zuhause, scheint dort oben im Wald zu sein. Dort sind sie zu hören, dort sehe ich sie kreisen, von dort aus ziehen sie ihre Runden. Sie geniessen das aussergewöhnlich schöne, klare Wetter, wie wir alle. Liegen dort oben am Himmel, segeln in wunderbarem Kontrast gegen das Blau. Ihre Laute in allen Variationen, hoch, tief, heiser, spitz. Ihre Bewegung manchmal beeilt, manchmal eine Zeitlupe im Nichts, immer harmonisch. Ich bin mir sicher: wer die Krähen versteht, weiss genau, was im Land vor sich geht. Sie kennen das Wetter, sie wissen, was in der Luft liegt, sie sehen, was kommt.
Sie übernehmen die Luftraumüberwachung; die zahlreichen Räuber werden geleitet, Flughöhe, Kurs und Landeerlaubnis werden von den schwarzen Wächtern bestimmt. Die Bussarde, meist zu mehreren unterwegs, werden fliessend elegant eskortiert – zu ihren Flügelspitzen je eine Krähe, bei Bedarf eine knapp unter oder über ihnen, und schon sind die grösseren Raubvögel nicht mehr Herren der Lüfte. Ihre Flugbahn bestimmen die Krähen. Sie werden gelenkt, geführt, geleitet. Sogar eine einzelne Krähe kann einen Bussard von seinem Ziel abbringen, ihm Flügelschlag und Weg abschneiden, bis dem Greifvogel nichts anderes übrig bleibt, als sich in grösstmögliche Höhe aufzuschwingen und so wieder an Bewegungsfreiheit zu gewinnen. Beeindruckend ist es, wenn sie gemeinsam ausrücken; sich verständigend, Informationen austauschend, Kampfschreie ausstossend, über den Baumwipfeln hervorbrechen und, den Himmel erobernd, ausschwärmen. Ihr Machtbereich ist ihnen sicher. Ihre Präsenz ist klar.
Nach und nach begreifen Menschen ihre Intelligenz, ihr Sozialverhalten, ihre komplizierten Hierarchien: manches ist über Krähen bekannt. Ihre andere Seite umflort dämmernde Mystik, eine unheimliche Bedrohung in ihrem geheimnisvollen Wesen. Der tiefe Zauber aber liegt in ihrer Kür. In dieser puren Leidenschaft und Freude an Bewegung in Schwerelosigkeit und Perfektion. Nicht nur Körperbeherrschung drückt sich aus, diese gemeinsame Formvollendung durch alle Dimensionen geht weit darüber hinaus. Eine Einswerdung mit ihrem Element und ihrer Art. Sich begegnend, spiegelnd, senkend, hebend, kreuzend, webend. Würden die gezogenen Bahnen am Himmel sichtbar bleiben, es wären exquisite Muster einer gehobenen Geometrie. Meisterhaft die Choreografie, unerreicht die Tempowechsel, der fliegende Takt. Der perfekt synchrone Formationsflug ist es nicht allein, diese Formation ist Teil einer Synfonie von Formationen, senkend, hebend, kreuzend, webend… Zwei zwischen Fünf, Viele über vier Solisten, die, zusammengeführt, ein neues Ensemble hervorbringen. In Technik und Kunst meisterhaft, in der Diversität der Einheit unerreicht. Ich bin sicher, wer die Krähen versteht, bekommt das Universum erklärt.