Artgerecht Leben

Zur Adoption freigegeben

Heute Abend habe ich den Kleinen richtig vermisst. Nun ist es schon gut zwei Wochen her, dass er umgezogen ist. Dieses kleine, weiche Etwas mit der grossen Persönlichkeit und dem grossen Eroberungsdrang… Auch mich hat er Stück für Stück erobert. Ich wollte ja etwas Distanz wahren – schon aus reinem Selbstschutz – aber wie soll das funktionieren bei einem so präsenten und so anrührenden Wesen, das einfach meine Beine hochklettert, wenn es Aufmerksamkeit möchte und Nähe braucht? Abweisen kommt nicht in Frage – nach Essen und einem sicheren Platz sind Nähe und Wärme lebenswichtig.

Seit Wochen scheitere ich nun daran, dies zu schreiben, gar nicht, weil es mir an sich schwer fällt, sondern, wie ich jetzt gerade einsehe, weil so ein Bericht ihm einfach gar nicht gerecht werden kann. Diese drei Wochen Entwicklung, Entfaltung, Beziehungsprobleme (mit meiner Katze), seine schiere Präsenz, die Kreativität und der Einfallsreichtum beim Spielen, sein einnehmendes Wesen, das lässt sich nicht einfach so zusammenfassen und erzählen. Schliesslich reden wir hier von einer Katze.

Schon sehr bald habe ich ihn bei einem Verein angemeldet, der Plätze, also richtige, neue Familien für solche Findlinge, und Streuner im Allgemeinen, vermittelt. Daraufhin haben wir noch weitere Tierarztbesuche absolviert. Untersuchungen, die zum Glück schon bald ergaben, dass er völlig gesund war – auch im Hinblick auf meine Katze war das eine grosse Erleichterung – und schon die erste Impfung. Bei diesen Gelegenheiten habe ich so etwas wie Hochachtung für ihn empfunden; die Fahrten hat er ohnehin fast stoisch hingenommen, mit nur anfangs ein paar kurzen Maunzern, eine Polizeikontrolle konnte ihn nicht wirklich beeindrucken, und beim Tierarzt konnte man ihm zwar etwas Angst und Anspannung anmerken, aber er verhielt sich kooperativ und vorbildlich. Man würde sagen, richtig erwachsen. Wenn ich den Katzenkorb zu Hause in ‘seiner’ Küche wieder abstellte, ertönte sofort Protest – nun war es höchste Zeit, da wieder raus zu kommen! Daraufhin ging er aufs Klo und begann sofort zu spielen.

Nachdem ich damals beschlossen hatte, ihn in der Küche ‘einzusperren’, damit meine Katze sich wenigstens im Rest des Hauses einigermassen sicher fühlen konnte, hatte ich mit nächtlicher Unruhe und auch mit Chaos und Schäden hier und da gerechnet… nur in einer der ersten Nächte hat er mit lautem Knall eine Holzschale und eine Pflanze auf den Boden geworfen, ansonsten ist nie etwas passiert. Und so karg, dass man nichts anrichten kann, ist unsere Einrichtung nun auch wieder nicht. Es gibt offene Regalbretter und Schränkchen, wo alles erdenkliche herumsteht, was man inspizieren und runterschmeissen könnte. Es war wirklich erstaunlich. Nur bei Beschaffungskriminalität habe ich ihn ertappt: wenn seine Bällchen und Nüsse unter oder hinter den Möbeln verschwunden waren, hat er sich auf den Tisch gewagt – er wusste schon ganz genau, dass er das nicht durfte – und sich dort kleine Tomaten oder sogar Weintrauben besorgt. Eingesperrt hat er sich zum Glück gar nicht gefühlt. Wenn er zur Tür hinaus wollte, dann nur, weil ich gerade im Stiegenhaus mit meiner Katze unterwegs war und mit ihr geredet habe.

Auf sie war er übrigens furchtbar neugierig. Weitergekommen ist er damit allerdings nicht. Meine Katze hat schon bald angefangen, wieder in die Küche zu kommen – in der Situation war das schon ein ganz grosser Durchburch – und hat die Strategie entwickelt, dabei erstmal den Kleinen ‘wegzuräumen’. Mit weit ausladenden Wischbewegungen beider Arme hat sie ihn vor sich hergetrieben, um ihn dann ihn den Spalt hinter der Kredenz oder hinter dem Schränkchen zu verstauen. Der Kleine war ja nicht dumm und rannte bald auch freiwillig in sein Versteck. Wenn meine Katze dann etwas essen oder sich nur kurz hinsetzen wollte, war er längst wieder aufgetaucht und musste wieder von Neuem aufgeräumt werden. Er war immer auf dem Sprung, wollte sich so gern anschleichen und ihr näher kommen, wurde aber nur mit lautem Knurren und Fauchen wieder weggescheucht. Und leider verliess meine Katze auch jedesmal wieder entnervt die Küche. Bis auf ein einziges Mal, als sie doch eine Weile sitzengeblieben ist und ihm sogar kurz beim Spielen zugeschaut hat. Eine Verbesserung ist aber auch da nicht eingetreten. Und so war ich die ganze Zeit im Zwiespalt.

Wenn ich abends mit dem Kleinen auf dem Schoss in der Küche sass, oder sogar wenn meine Katze nachts an mich geschmiegt im Bett lag, fand ich mich wider besseren Wissens in der Illusion, dass alles so doch ganz gut funktionierte… wenn ich bei allen anderen Gelegenheiten meine völlig nervöse und unzufriedene Katze draussen und im Haus beobachtete, konnte ich es nicht erwarten, dass ein neuer Platz für den Kleinen gefunden wurde. Als ich schliesslich die Nachricht bekam, ich könnte ihn am nächsten Abend unten in der Stadt bei einer Pflegestelle abliefern, war mir einfach nur ganz flau und mulmig. Ich fühlte mich als Betrüger, als Versager. Und musste mir vor Augen halten, dass es meiner Katze gegenüber ja ein Vertrauensbruch war, dass ich ihn überhaupt in ‘ihr Haus’ hatte einziehen lassen. Als es so weit war, hatte ich schon ein recht gutes Gefühl bei der Sache, schliesslich ging es ja darum, das der Kleine ein richtiges, eigenes Zuhause bekam. Mir war klar, dass es auch verwirrende Zeiten für ihn werden würden; ich habe ihm nur versprochen, dass er es warm haben wird. In praktisch jedem Haushalt is es im Winter wärmer als bei uns. Ich war auch schon sehr froh, als die Dame mir sagte, er würde bestimmt schon in wenigen Tagen in seine endgültige Familie ziehen. Schwer war nur, ihn in einem Käfig zu sehen… Darauf war ich gar nicht gefasst. Ein sehr geräumiger Kennel zwar, mit viel Bewegungsfreiheit, aber trotzdem… Dieser fröhliche, liebenswerte kleine Kerl…

Als ich mich nach zwei Tagen erkundigte, sagte sie, er hätte sehr getrauert und einen Tag lang gar nichts gegessen… Und wieder zermarterte ich mir Herz und Kopf. Konnte ich ihn zurückholen? Musste ich? Aber zugleich sah ich meine Katze, wie ausgewechselt, und gerade dadurch erkannte ich auch in aller Deutlichkeit, wie schwer diese Zeit für sie gewesen war. Einige Tage später erfuhr ich, dass es dem Kleinen gut ging und er sich nun frei in der Wohnung bewegen durfte. Was für eine Erleichterung!!! Und nach knapp einer Woche: ein Bild von ihm, aufgeweckt und selbstbewusst auf einem Sofa, und dazu der Bericht, dass er gerade in seinem Eigenheim angekommen war, gleich gegessen hatte, und sich benahm, als wäre er nicht zum erstenmal dort. Eine der besten Nachrichten überhaupt! War das herrlich. Inzwischen habe ich nochmals eine kurze Nachricht bekommen, dass es ihm sehr gut geht.

Vergessen wird er so bald nicht. Die Art, wie er auf den Schoss kletterte, sich mit den Vorderpfoten auf meinen Bauch stellte um dann andächtig und in tiefer Faszination meine Mimik und die menschlichen Gesichtszüge an sich zu studieren. Oder wie sich unsere Kommunikation entwickelt hat, und auch seine Lautäusserungen immer vielseitiger wurden. Wie er morgens, wenn ich in die Küche kam, praktisch in meine ausgestreckte Hand hineinkugelte und ich dann alles nur noch mit ihm im angewingelten Arm erledigen konnte. Der Abend, an dem meine Katze und ich zusammen in die Küche hinunterkamen und er mit einer echten, aber toten Maus in den Pfoten dalag und wie verrückt damit zu spielen begann. Diese maus konnte er nur selbst professionell gefangen und erlegt haben! Eine der wagemutigen Mäuse, die einen Weg in dieses alte Holzhaus finden und dann bald einer Katze begegnen… Nur diese Katze war kompakt genug, auch hinter den Möbelstücken zu jagen! Das Rätsel, wie die Spielzeuge erstaunlich oft ohne meine Hilfe wieder im Sammelkorb landeten, konnte ich auch lösen: er konnte im Sprung etwas zischen den Pfoten halten und landete damit einfach im Korb, wo dann weitergespielt oder etwas Neues ausgesucht wurde. Und sein Karton: eine Schachtel aus dem Supermarkt, aber mit Schlitzen, durch die man durchschauen und spielen konnte. Bald drehte er den Karton einfach um und bewegte sich darunter im Wahnsinnstempo über den Fussboden, einem Spielzeug nachjagend und nach meinen Füssen greifend. Einmal hat er sich unter dieser Tarnkappe meiner Katze genähert. Der Anblick war zum Brüllen, und sie fand es gar nicht mal so schlimm.

All das und unzählige andere Erlebnisse und Eindrücke.

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