Artgerecht Leben

Besuch oder Familienzuwachs?

Letztens saß ich mit meiner Katze in der Sonne auf den Stufen und meinte, ein Maunzen zu hören. Meine Katze meinte es nicht nur, sie ging sofort nachsehen. Ich stand auf, machte leise die paar Schritte zum Zaun, reckte den Hals… und war irgendwie überrumpelt, und leicht überwältigt. Auf der Steinmauer der Holzhütte hockt ein maunzendes kleines Wesen. Ich muss eine ganze Weile hinsehen. Ja, es ist echt. Ganz und gar echt und hockt hier bei uns, an unserer Holzhütte. Und sieht so müde aus. Ich bin überrumpelt. Meine Katze weiss auch nicht so ganz, wie sie nun damit umgehen soll. Sie schleicht sich mit gespanntem, aufmerksamen Interesse bis auf einige Meter heran und schaut. Eine ganze Weile. Als sie sich vorsichtig noch ein paar Schritte nähert, verschwindet die Kleine flink durch den Spalt in der groben Bretterwand, und meine Katze hinterher. Kein dicker Schwanz, keine Mißtöne. Andererseits verhalten ausgewachsene Katzen sich normalerweise Jungen gegenüber auch nicht aggressiv, nur neugierig und meist sehr vorsichtig, eher ängstlich. Meine Katze taucht bald wieder auf und geht ihrer Wege. Und kommt wieder und beobachtet die Holzhütte. Und geht wieder. Ich stelle ein Schüsselchen Futter in die Hütte. Wie sollte ich einem kleinen Katzenkind Hilfe verwehren? Da ist jemand müde, allein und sicher auch hungrig. Der restliche Nachmittag gestaltet sich so, dass wir beide, meine Katze und ich, diskret beobachten und abwarten.

Eine solche Situation habe ich eigentlich gefürchtet. Ich habe mich schon öfter gefragt, was ich tun soll, wenn bei all den Scheunen und schönen Plätzchen im Heu eine Katze hier Unterschlupf findet und ihre Jungen zur Welt bringt. In erster Linie ist das natürlich schön, aber was dann? Da ich mit meiner Katze, und auch dem Kater, richtig zusammenlebe und nicht nur ab und zu Futter hinstelle, ohne mich weiter mit ihnen abzugeben, bin ich mit den Beiden doch schon ganz gut ausgelastet. Besonders dann, wenn ich wirklich mal wieder eine Weile kaum Zeit übrig habe. Und nun hat sich jemand hierher verirrt, und sich, in der Hoffnung auf Hilfe, zu erkennen gegeben. Ich bin ganz sicher nicht in der Lage, die Kleine zu vertreiben. Genau genommen liegt die Entscheidung ohnehin bei meiner Katze und dem Kater. Vielleicht hat die Kleine auch nur was zu Essen gesucht und setzt ihre Wanderschaft fort… aber wohin?

Heute ist schon der vierte Tag unserer Bekanntschaft. Inzwischen kann ich die Uhr danach stellen, dass die – oder auch der – Kleine um kurz nach drei bei der Holzhütte auftaucht. Woher sie dann kommt, oder ob sie sich dort einfach nur versteckt oder geschlafen hat, keine Ahnung. Ein kurzes Innehalten an der Ecke – ein regelrechtes Einfrieren und völlig regungsloses Verharren, die Augen konzentriert auf mich gerichtet. Diese winzige, kuschelige Verpackung, so voller Leben, Körperbeherrschung und Eleganz. In jedem Detail eine vollständige, perfekte Katze, und doch noch so neu und unerfahren… Vorgestern hatte ich nur aus den Augenwinkeln etwas wahrgenommen, und da war sie, beim Trockenfutter auf der Terrasse, die Augen ganz erschrocken aber auch flehend auf mich gerichtet – bitte lass mich nur erst etwas essen, nur ein bisschen, bevor Du mich verscheuchst… Nur einen Moment…

Nun frisst sie dort schon recht selbstverständlich, deutlich entspannter. Heute hat sie sich umgedreht und ist ganz selbstbewusst wieder zur Holzhütte stolziert, ist nicht gleich hineingehuscht, sondern noch eine Weile herumspaziert. Ein wenig später war sie wieder auf der Terrasse. Es war noch Futter da, aber darum ging es gar nicht. Sie hat sich kerzengerade hingesetzt, den Schwanz um die Pfoten gezogen und mich angesehen. Nach einer Weile hat sie den Rasenstreifen überquert und sich hinter den Blumentöpfen entlang ganz vorsichtig an mir vorbeigeschlichen. Als ich später nachsehe, ist sie im Garten. Ich hocke mich hin und rede mit ihr. Sie schaut, überlegt, macht sogar ein paar wippende Bewegungen in meine Richtung. Sie zieht es aber doch vor, weiter den Garten zu erkunden. Später stelle ich wieder Futter in die Holzhütte. Abends sehe ich sie nie, morgens genauso wenig. Aber dies ist doch schon ein ausführlicher Zwischenstopp. Das Ende einer Herbergsuche?

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