Ja, alles tatsächlich wegen mir. Oder wegen einer Biene. Wenn man sein Wochenende oder die Feiertage etwas aufregender gestalten will, kann man versuchen, beim Ärztenotdienst um Rat zu fragen. KLARSTELLUNG: Dies ist natürlich nicht ernst gemeint, Einsatzkräfte sollten nie unnötig mobilisiert werden, sie haben wirklich Wichtigeres zu tun. Und ich weiss, Ärzte können telefonisch keine Diagnosen stellen oder Ratschläge erteilen, die Risiken sind zu gross, ausserdem geht es um Verantwortung.

Wie sich die Ereignisse nun heute entfaltet haben, war trotzdem spannend, wenn auch etwas beunruhigend. Ich bin heute Vormittag vor dem Haus auf eine Biene getreten, und der Stich tat richtig höllisch weh. Mehr als sonst. Ich habe da schon Erfahrungen. Das will heissen, ich laufe schon mein ganzes Leben barfuss, wo es nur geht, und es ist mir noch nie passiert. Bis vor ein paar Wochen, auch hier vor der Haustür. Da war noch alles voller Löwenzahnblüten, und die Bienen hatten endlich grossflächig Nahrung. Ich spürte den Stich, einen kurzen Schauer durch den ganzen Körper, und konnte den Stachel erkennen und herausziehen. Ich habe mir den Spitzwegerich geholt, der saftiger und nach meinen Erfahrungen wirksamer ist als der breitblättrige, mit dem zerquetschten Blatt die Stelle eingerieben, und es blieben nur etwas Juckreiz, eine ganz leichte Rötung und Schwellung. Ich hatte mir kurz Sorgen gemacht, da ich an dem Tag irgendeinen Termin hatte – vielleicht würde ich mit dem Fuss nicht Autofahren können. Aber alles war harmlos. Wespenstiche hatte ich in meinem Leben schon viele, an verschiedensten Körperstellen, und da war die Schwellung oft nach ein paar Tagen sogar schlimmer geworden. In diesem Fall war alles erledigt, nur abends im Bett spürte ich wieder ein leichtes Jucken. In den nächsten Wochen gab es noch einmal einen recht schmerzhaften Stich, keine Ahnung wovon. Und vor ein paar Tagen sass eine Biene auf meinem Oberteil, als ich mich nach vorn und mit dem Oberkörper auf die nackten Oberschenkel lehnte. Wieder wurde ich gestochen. Wieder hielten die Symptome zum Glück nicht lange an. Die armen Bienen.

Also habe ich mir heute meine Wegerichblätter geholt, den Stachel entfernt, eingerieben. Aber es tat schon extrem weh, und das Frösteln kam auch immer wieder. Na gut, Essigwasser, später etwas Salbe, Tee trinken, hochlagern. Nun begann der Fussknöchel ziemlich zu jucken und war sehr rot – noch nicht so ungewöhnlich, bei Wespenstichen habe ich oft Juckreiz und Schwellung abseits von der Einstichstelle erlebt. Besser wurde es aber nicht. Nach einer Weile kamen leichte Rötungen am Bein und dann grossflächige Rötung mit Blasenbildung in der Leiste. Abstruserweise noch ein extremes Jucken im Intimbereich… hm, etwas krass. Doch nicht ganz das, was ich mit einer schweren allergischen Reaktion verbinden würde, aber etwas war im Gange. Als ich dann schon eine ganze Weile starke, glühende Rötungen im Schulterbereich und am Nacken hatte, wurde es mir etwas unheimlich, schien aber nicht sehr bedrohlich. Ich hatte mit meiner Mutter telefoniert, und die riet mir dringend, den Ärztenotdienst zu kontaktieren. Dies ist schon ziemlich heftig und seltsam. Also gut…

Als erstes versuche ich es mit der Vergiftungszentrale. Immerhin hat es ja mit Gift zu tun, und ich hoffe auf eine Auskunft oder Aufklärung. Dort ist man freundlich, verweist mich aber an den Notdienst. Das war nicht meine erste Wahl, um eben nicht unnötig Notärzte oder ähnliches zu mobilisieren, aber ich rufe an und man gibt mir die Nummer der nächsten Ärztin. O wei, mit ihr hatte ich schon einmal wegen simplen Halsschmerzen zu tun, und sogar in der Situation war sie mir unzumutbar hektisch und überspannt vorgekommen. Sie lässt mich die Symptome auch nicht weiter schildern, das mit den Rötungen ist irgendwie angekommen und sie wiederholt ununterbrochen, ich solle den Krankenwagen rufen. Und erläutert dann doch noch: es sei eine allergische Reaktion, und sie selbst habe gerade einen dringenden Fall. Also gut…… Jetzt bin ich ja schon in Fahrt. Notrufnummer wählen, das Protokoll durchlaufen. Nein, ich hatte bisher keine schweren allergischen Reaktionen bei Insektenstichen. Nein, ich habe keine Schluckbeschwerden. Nein, ich habe keine Atembeschwerden. Man wird mir jemand vorbeischicken, aber ich müsste auf jeden Fall mit ins Krankenhaus. Blöd. Zum Glück ist meine Katze gerade zur Tür hereingekommen, ich schliesse selbige hinter ihr, stelle eine Menge Futter bereit, nehme Handy, Ladekabel, Brieftasche mit Ausweis und halte mich sozusagen bereit – wobei ich schon eine Weile das Wummern eines Hubschraubers höre. Als dieser dann vor der Haustür zu schweben scheint, wird es mir schlagartig bewusst. Oh nein. Der will hier zu Haustür. Ich kenne einen ähnlich surrealen Moment: einmal musste ich die Feuerwehr rufen und war dann verwundert, dass plötzlich die Sirenen losgingen…

Das Wummern nimmt wieder ab, mein Garten bleibt unbehelligt. Wäre auch etwas zuviel verlangt, hier zu landen. Ich rede meiner Katze gut zu, und da sind auch schon Leute an der Tür. Das ist eine Untertreibung; als ich zu öffnen beginne, sehe ich eine ganze Schar von Rettungskräften, bereit, hereinzustürmen. In diesem Moment komme ich mir surreal vor: ich stehe auf den Stufen über ihnen und sage: “Alles okay, alles okay…” es sei doch nur eine allergische Reaktion. Wir betrachten uns wohl gengenseitig etwas entgeistert, während ich nach Name und Adresse gefragt werde. Eine junge Frau, die sich auch als leitende Notärztin entpuppt, hat die Situation offenbar schon eingeschätzt und entschuldigt sich, dass sie mich mit dem ganzen Ensatzkommando überrennen. Für ihr Gefolge bestimmt, sagt sie bereits: “Wir lassen sie hier”. Inzwischen stehe ich, von Helfern umringt, draussen, am Parkplatz ein Krakenwagen, zu dem zwei der Einsatzkräfte gehören, die weitern drei sind die voll ausgestattete Belegschaft des Rettunshubschraubers. Wow. Die Leitstelle und die Ärztin hätten wohl etwas Chaos reingebracht und überreagiert. Wenn es für mich in Ordnung wäre, würden sie mir an Ort und Stelle eine Infusion geben und es dabei belassen. Natürlich ist das für mich in Ordnung, ich bin ja auch bestürtzt über diese geballte Wucht lebensrettender Massnahmen, in Anbetracht der – zum Glück – nicht so akuten Situation. Inzwischen stecken zwei Nachbarn die Köpfe um die Ecke, sie kommen nicht richtig am Krankenwagen vorbei. Hm, dieses Interesse hat doch etwas beruhigendes. Ich rufe ihnen zu und bedanke mich. Während die Infusion läuft erklärt mir die Notärztin, dass es erst bei Schwellungen im Hals akut wird, und was ich mir beim Hausarzt verschreiben lassen soll, um beim nächsten Mal vorbereitet zu sein. Inzwischen ist auch die Polizei eingetroffen, dem in Gang gesetzten Protokoll folgend. Nachdem der Beamte meine Daten von den Pflegern abgeschrieben hat, verliert er das Interesse und verabschiedet sich mit dem Hinweis, das gerade ein Ruf nach einem Hubschrauber eingegangen sei. Ja, solche Profis werden anderswo dringender benötigt.

Ich lege mich erst einmal im Antihistaminnebel auf das Sofa, bis ich mit meiner Katze wieder nach draussen umziehe. Eigentlich hätte ich heute andere Dinge vorgehabt, aber nun bin ich doch etwas geschlaucht und mit dem schmerzhaften Fuss auch gehandicapt. Pffff. Immerhin war es eine allergische Reaktion. Und auf die Rettungskräfte war mehr als Verlass. Gut zu wissen. Wenn wegen mir auch nicht gleich der Ernstfall mit maximalem Einsatz geprobt werden muss. Zumindest hat sich die Notärztin gefreut, diesen verzauberten Ort zu sehen.