Ja, wirklich. Oder mit anderen Worten: was macht unser Kater alles durch?? Dabei scheint es gar nicht so schlimm zu sein – er ist guter Dinge, fröhlich wie immer, unglaublich anschmiegsam und ausgelassen. Und zum Glück ist sein Vertrauen in meine Fürsorge und in dieses Haus unerschütterlich. Jetzt gerade liegt er schnurrend neben mir im bequemen Sessel, während ich auf einem Stapel Bücher sitze. So gehört sich das in einem Katzenhaushalt.

Aber eigentlich wollte ich ja von seinem aktuellen Handicap berichten, das fast schon keines mehr ist. Spät abends, als ich ihm noch etwas Trockenfutter hinlegen und gute Nacht wünschen wollte, kam er, wie meistens, angerannt, konnte aber den Schwanz nicht ganz aufrichten. Ungewöhnlich, er versäumt es nie, zu salutieren: sobald er mich erblickt oder auf mich zu kommt, ist der Schweif hoch aufgerichtet, Katzensignal für Freundschaft und Friede. Nun aber war das oberste Drittel umgeknickt, hing herunter. Er begann zu essen, ich habe etwas abgewartet und dann versucht, zu sehen, was los war. Er hatte sich hingesetzt und begann nun, die betreffende Stelle zu waschen, ich meinte, sogar ein wenig Blut zu sehen. Genauer durfte ich mich nicht damit befassen, und ich liess ihn in Ruhe. Ich hatte ihn höchstens eine Stunde zuvor auch gesehen, meine Katze und ich waren die ganze Zeit über in der Küche; wenn draussen etwas beunruhigendes passiert wäre, wenn eine Katze geschrien hätte, hätte sie es auf jeden Fall mitbekommen und ich hätte es an ihrem Verhalten bemerkt. Also ging ich davon aus, dass es nur irgendein Kratzer war. Ausserdem hatte ich öfter gesehen, dass ein Teil von einem Katzenschwanz, vielleicht durch eine harmlosere Prellung, ein oder zwei Tage fast unbeweglich sein kann und dann wieder voll und ganz funktioniert. Ich wünschte ihm gute Nacht.

Am nächsten Tag sah ich ihn erst am Nachmittag, als ich heimkam. Er lag an der Böschung, in der Nähe des Hauses. Auch ungewöhnlich – er wäre normalerweise gleich aufgesprungen und hätte mich auf dem Weg zur Tür schon überholt. Also ging ich zu ihm. Mitten am Schwanz war eine Stelle mit frischem Blut. In der dichten Behaarung konnte ich nicht viel sehen, aber es war klar, dass es eine tiefe Wunde war. Es sah auf den ersten Blick viel schauerlicher aus, als man sich das bei einem Körperteil, das fast buchstäblich nur aus Haut und Knochen besteht, überhaupt vorstellen kann. Naja, er war froh, mich zu sehen, und kam mit mir mit, war aber deutlich weniger überschwänglich, als es sonst seine Art ist. Meine Katze, endlich aus dem Haus in die Freiheit entlassen, war ausser Sicht, er aber legte sich auf die Stufen und blieb, auch nachdem er gegessen hatte. Dabei versuchte er andauernd, den Schwanz an sich heranzuziehen, aber er entglitt wieder und wieder. Immer noch auf Halbmast, war der obere Teil unkontrollierbar und ‘zog’ somit auch den Rest hinunter, der Schwerkraft folgend. Es war klar: wir mussten zum Tierarzt. Es dauerte noch bis zur Abendsprechstunde, also ging es nun darum, den Kater im Auge zu behalten und zu hoffen, dass meine Katze beizeiten wieder von ihrem Ausflug zurück sein würde.

Auf dem Weg zum Tierarzt zeigt er sich sehr, sehr unglücklich aber zum Glück nur wenig kämpferisch. Endlich angekommen, müssen wir ungewöhnlich lange warten. Ein grosser Hund heult sich die Seele aus dem Leib – wie das bei Tierärzten leider meist der Fall ist, ist die Atmosphäre nicht besonders beruhigend. Der Kater hält einfach still und schaut aus dem Fenster. Wenigstens diese Ablenkung kann ich ihm bieten. Als wir an der Reihe sind, werden wir mit nach einer Sedierung (für ihn) wieder ins Wartezimmer zurückgeschickt. Dann kann die Untersuchung endlich losgehen. Der Kater versucht sich wieder aus seinem Halbschlaf herauszukämpfen, es gelingt aber, die Verletzung in Augenschein zu nehmen. Ja, es sieht sehr unangenehm aus. Aber die Tierärztin möchte es mit Nähen versuchen. Also doch Narkose. Wenigstens läuft es nicht auf Teilamputation hinaus, obwohl sie betont, dass wir abwarten müssen, bis sie es genauer einschätzen kann, und dann abwarten, ob das Gewebe auch noch ausreichend durchblutet wird und heilen kann. Also überlasse ich ihn der fachkundigen Behandlung und gehe einkaufen. Dabei bin ich ausgerechnet heute so müde, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann.

Nun sehen wir einer langen Nacht entgegen. Als ich ihn abholen konnte, hob er schon den Kopf, die Augen noch schwarz und blicklos. Zu Hause angekommen, hatte er sich im Korb umgedreht. Ich habe noch sehr gut, und nicht gerade angenehm, in Erinnerung, wie er nach der Kastration in der Aufwachphase reagiert hat: ich habe ihn im Zimmer aus den Korb gelassen, und er hat mit instinktiver Aktivierung aller Kräfte, aber ohne Körperkontrolle und Bewusstsein, versucht zu flüchten. Das Einzige, was ich tun konnte, war, ihn unter beiderseits erheblichem Stress, wieder in Korb zurückzustecken und ihn noch mehr als eine Stunde dort zu lassen: er hätte sich völlig verausgabt und womöglich Schaden genommen. Also stelle ich den Katzenkorb im Zimmer ab und lasse ihn geschlossen. Meine Katze bezieht Stellung auf der Couch gegenüber und lässt ihn keinen Moment aus den Augen. Er nickt ein wenig vor sich hin, drückt manchmal die Stirn an das Türchen, schwankt etwas. Inzwischen mache ich mir etwas zu essen und gehe später sogar duschen, bereite alles für die Nacht vor, er ist ja unter Aufsicht und verhält sich zum Glück ruhig. Als ich ihn später herauslasse, stakst er unsicher zur Tür, hat auch die Kopfbewegung noch nicht richtig unter Kontrolle, und setzt sich mit der Nase an den Türspalt. Ich lehne mich kurz zurück und versuche wach zu bleiben, gehe zu ihm und nehme ihn hoch – sofort entspannt er sich komplett, beginnt in voller Lautstärke zu schnurren und schmiegt sich an mich. Das ist ja eine optimale Entwicklung! Meine Katze wollte sich gerade einrollen und auch endlich etwas schlafen, sieht nun aber wieder gebannt und doch auch sehr wohlwollend zu, wie ich mit einem glücksseligen Kater am Arm dasitze. Dies halten wir noch eine ganze Weile so durch.

Nachdem er zumindest friedlich und entspannt ist, möchte ich nun doch ins Bett – meine Katze hat das Krankenzimmer schon verlassen und vertritt sich etwas die Füsse. Als ich noch mal beim Kater vorbeischaue, hockt er angespannt mit der Nase an der Tür und ich kann ihn kaum zurückhalten, um selbst hineinzukommen. Dies wiederholen wir noch ein paar Mal: wenn ich das Zimmer verlasse, liegt er offenbar nicht mehr schnurrend auf dem Sofa, sondern will nur noch raus. Trotzdem gehe ich irgendwann ins Schlafzimmer; ich bin zu erschöpft. Wie erwartet, schlafe ich aber doch nicht – meine Katze kommt immer nur kurz zu mir herein, also kann ich davon ausgehen, dass sie vor seiner Tür hockt, und zwar, weil er auf der anderen Seite der Tür hockt und wartet. Natürlich gehe ich auch noch mal nachsehen – nehme ihn auf den Arm, er ist sofort völlig glücklich und entspannt, bette ihn wieder schnurrend auf das Sofa. Einige Stunden später bringe ich ihm wenigstens Wasser. Bis dahin durfte er ja noch gar nichts zu sich nehmen. Wieder liege ich eine Weile im Bett, extrem müde, immer halbwach. Bis ich im ersten Morgengrauen fast einschlafe, aber ein dumpfes Plums aus dem anderen Zimmer höre. Ich warte ab. Da ist es wieder. Ja, nun hört es sich an, als ob ein wildes Tier die Wände hochgeht und sich von dort wieder hinunterfallen lässt. Au wei.

Ich betrete gebückt das Zimmer, eine Hand in Fussknöchelhöhe, um den Kater zurückzudrängen. Er dreht eine gestresste Runde und steigt ins Katzenklo, um dort ganz lange zu hocken und es endlich laufen zu lassen. Hm, das ist das erste Mal. Höchstwahrscheinlich ist es das erste Mal in seinem Leben, dass er in einem Innenraum ein Katzenklo benutzt. Auf jeden Fall hat er den Zweck erkannt und hat es benutzt. Nur war seine erste Reaktion, dass er um jeden Preis ins Freie musste, um zu Pinkeln. Also deswegen die Aufregung. So gesehen läuft nach wie vor alles Bestens. Nur will er jetzt wirklich nicht mehr im Zimmer bleiben, und da er wieder fit zu sein scheint, bringe ich es nicht fertig, ihn weiter einzusperren. Er rennt aber gar nicht zu Haustür, sondern zuerst in die Küche – er hat nun auch richtig Hunger. Gut. Meine Katze kommt auch, findet bei all der Aufregung aber keine Zeit, etwas zu essen. Ich lasse mich wieder ins Bett fallen.

Immer wieder schlafe ich kurz ein, wache aber wieder auf, weil in regelmässigen Abstanden erst der Kater, dann meine Katze vorbeitappt. Wiederholt höre ich ein kurzes, empörtes Fauchen meiner Katze. In dieser angespannten Situation ist das ein beruhigendes Mindestmass an Verstimmung. Inzwischen ist es heller Morgen – ich kann zum Glück noch liegenbleiben, stehe aber doch wieder auf, um nach dem Rechten zu sehen. Oben an der Treppe sitzt der Kater und entfernt gerade in dem Moment seinen Verband: ein weisser Überzug, eine Art Köcher, der offenkundig auch ziemlich schwer und hinderlich war, sollte die frisch genähte Wunde schützen. Kein Wunder, das er ihn loswerden wollte. Auch die Tierärztin hatte dies vorausgesehen. Ich habe erbarmen und lasse ihn ins Freie. Die Narkose behindert ihn nun sicher nicht mehr. Endlich schlafen! Aber natürlich bin ich sofort besorgt, das er sich weiter verletzt, mit dem gefühllosen Teil irgendwo hängenbleibt…

Ich sage einen Termin am Vormittag ab. Ich schlafe. Und bin wahnsinnig erleichtert, als ich den Kater am frühen Nachmittag endlich bei der Hintertür treffe. Wahnsinnig anschmiegsam, laut schnurrend, und guter Dinge. Schwanz und Nähte sind intakt. Gott sei Dank.