Artgerecht Leben

Neujahrsblues

Ein wunderschönes Neues Jahr! Ein Jahr voll Zufriedenheit, Gelassenheit, Zeit…

Habe ich das? Hm, eigentlich ja, oft schon, wenn ich es zulasse. Was ist dieses vage, nagende Gefühl in den ersten Tagen des Jahres? Es hat mit grossen Erwartungen zu tun. Ich habe nicht einmal Vorsätze für das Neue Jahr, habe ich fast nie gehabt. Dies ist zum Teil Skepsis gepaart mit Faulheit, zum Teil auch das Bewusstsein, dass andere Termine und Stichtage genauso oder besser geeignet sind, sich oder seine Gewohnheiten zu ändern. Es gibt wichtigere Daten als unseren kalendarischen Jahreswechsel, oder? Zum Beispiel die Sonnenwende, oder der astronomische Frühlingsbeginn, oder persönliche Geburtstage und Jahrestage. Also warum Neujahr? Und warum Blues?

Ich war immer schon ein Riesenfan von Silvesterfeiern und dem Jahreswechsel. Als Kind war es das grosse Fest, es waren immer Gäste da, es gab so viele verschiedene gute Dinge zu essen, und vor allem: ich durfte aufbleiben, und später auch noch rausgehen! Das Feuerwerk war natürlich eine riesige Faszination, es hatte irgendwie auch noch mit Verbotenem und mit Gefahr zu tun… und der bunte Funkenregen war so magisch. Später die Parties, immer die gespannte und ausgelassene Stimmung, auch, wenn ich gearbeitet habe. Die Spannung bis zum Höhepunkt. Da fand ich es schon schade, wenn man schon am Nachmittag die ersten Kracher und Raketen hört, und immer mehr Feuerwerk einen Frühstart hat… das ist nicht die plötzliche Entladung genau an dem einen Punkt um Mitternacht, diesem Punkt ausserhalb der Zeit zwischen hier und dort, alt und neu.

Und gerade dieser allgemeine Neubeginn, der einfach stattfindet, ohne dass ich gross etwas dazu beitragen muss, weckt wohl unbewusste Hoffnungen. Vage Hoffnungen, aber irgendwie Hoffnungen, dass nun alles besser ist und von selbst geht. Irgendwelche unerwarteten Erwartungen. Also haben die Katzen und ich erstmal bei Sonnenschein Neujahr genossen, und dann kam das kalte Wetter, und der Blues. Und heute habe ich wenigstens beschlossen, einfach mal wieder etwas zu tun und den Blues vorerst abzuschütteln. Aber hier noch die Erfahrungen zum Jahreswechsel.

Dieses Jahr habe ich einen Versuch unternommen, mit einer Freundin Silvester feiern zu gehen. Nicht falsch verstehen, ein Reinfall war es keineswegs. Aber irgendwie… anders. Ich wollte mich unbedingt hineinstürzen in Feierlichkeiten und Aktivitäten, weil ich Silevster so mag und weil mich in den letzten Jahren sogar manchmal ein vages, abergläubisches Gefühl beschlichen hat, dass sich so wenig tut, weil ich den Jahreswechsel nicht mehr richtig feiere! Wir sind aufgebrochen zu einem Silvesterpfad, einer nächtlichen Wanderung zu und um einen See. Erstaunlich viele Menschen, aber nicht störend, an den verschiedenen Stationen und Imbissbuden eher störende Musik und wenig Auswahl, aber diese Kritik ist eigentlich übertrieben: es ist eine tolle Idee, und es ist tatsächlich stimmungsvoll und einfach schön, durch die frische Nachtluft zu spazieren, die Lichter und den Fackelzug der anderen Besucher zu beobachten und einfach nur gemütlich unterwegs zu sein. Anschliessend wurde es dann spannend, denn ich ich wollte den Versuch weiterer Unternehmungen unternehmen… in der einen, nächstliegenden Kleinstadt konnten wir in einem italienischen Restaurant einen Kaffe trinken, aber die Belegschaft war gerade dabei, eine interne Feier vorzubereiten. Aus der einzigen offenen Kneipe schallte Schlagermusik. Also beschloss ich, in die nächste Stadt zu fahren – ich hatte eine Ankündigung von einer ganztägigen Silvesterfeier gesehen. Kurz habe ich mich sogar noch um Parkplätze gesorgt, aber als wir ankamen, waren davon auffallend viele frei. Und es war still. Eigentlich wohltuend still und ruhig. Allerdings ein schlechtes Zeichen für unser Vorhaben. Nachdem wir nun ganz in der Nähe geparkt hatten, sahen wir unterwegs doch eine Gruppe von Menschen – wie sich herausstellte, die einzige. Als meine Freundin sie ansprach, schlugen sie das wahrscheinlich einzige offene Lokal in der Gegend vor. Nur schien mir das irgendwie auch nicht die Lösung. Zwei Städte, oder Städtchen, hatten wir nun gesehen – in schönster Weihnachtsbeleuchtung und in vollkommener Ruhe. Einer lobenswerten Ruhe, aber gerade in der Silvesternacht? Faszinierend. Vielleicht hätte auch die Formulierung ‘ganztägige Silvesterfeier’ mich stutzig machen müssen – von der Nacht war ja keine Rede.

Nun lief fast schon die Zeit davon. Jetzt gab es nur eine Idee: wieder in die Autos und los. Meine Freundin war aus Rücksicht schon mit dem eigenen Auto gefahren, damit ich sie nicht den ganzen Weg zurückbringen muss. Ja, es war zeitlich machbar. Oben angekommen, empfingen uns Sternenhimmel und beste Aussicht. Nach kurzer Katzenbegrüssung schnell mit zwei Gläsern und der einzigen Dose Bier, die im Haus war, rauf auf den Balkon. Und noch fast zehn Minuten Spannung bei vereinzelten bunten Fontänen und wunderbarem Weitblick. Dann ging es los. Das grosse Meer von Feuerwerk in allen Farben und Formen zu unseren Füssen, vor uns ausgebreitet. Und ich war erleichtert, dass auch meine Freundin es genossen hat. Nun ist auch mein Verhältnis zu Feuerwerk ein sehr gespaltenes: für Tiere und eigentlich für alles, was mit Natur zu tun hat, ist es eine Katastrophe. Aber wenn es schon stattfindet – das Panorama ist ein Traum. Das war unser stiller Silvester.

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