Artgerecht Leben

Zweitwohnsitz

Meine Katze hat ein neues Zuhause. Zumindest im Moment. Als wir hier eingezogen sind, habe ich sie natürlich, wie die Faustregel besagt, drei Wochen im Haus behalten. Dies dient als Gewöhnungs- und Orientierungsphase – man hört ja immer wieder von Katzen, die sich auf den Weg zurück zur alten Adresse machen. Obwohl ich völlig überzeugt bin, dass dieses Verhalten zu einem grossen Teil von der Mensch-Katze Beziehung abhängt, wollte ich sicher kein Risiko eingehen. Eine fremde Umgebung ist bedrohlich und voller Überraschungen, und ein plötzlicher Schreck, eine Überreaktion, können auch schlimme Folgen haben. Allerdings bin ich in dieser Zeit jeden Tag mit ihr an der Leine nach draussen gegangen. Das verlangt grösste Aufmerksamkeit, denn gerade in dieser eingeschränkten Situation kann ein plötzlicher Schreck noch schlimmere Folgen haben. Freiheitsliebend, wie meine Katze ist, hat sie erstaunlicherweise Brustgeschirr und Gängelband immer akzeptiert, und es funktionierte. So konnte sie sich ‘kontrolliert orientieren’, ich bin die ganze Zeit durch Zäune geklettert, unter Balken durchgekrochen, immer äusserst umsichtig, damit sie sich nicht verheddert.

Im Haus hatten wir einen ähnlichen Orientierungsprozess. Die ersten ein, zwei Tage war sie nur in der Küche und am Korridor. Im doch recht geräumigen Haus konnte ich ihr nach und nach immer neue Räume oder Durchgänge öffnen, immer wieder gab es neue Abenteuer. Und als sie dann alleine raus durfte, konnten nach und nach Stall, Heuboden, Schuppen und sämtliche Winkel und Dachböden erkundet werden.

So bietet dieses Haus, oder besser gesagt, diese Ansammlung von Gebäuden, eigentlich auch einen fantastischen Abenteuerspielplatz bei Schlechtwetter. Nur ist ihr recht schnell langweilig. Heute ist es grau in grau, es regnet fast den ganzen Tag in Strömen, und sie rennt ein und aus, ein und aus, kommt immer wieder bei bei mir vorbei, in der Hoffnung, dass ich was unternehmen kann, und versucht an allen Türen ihr Glück (insgesamt sind das einige). Als ich gerade auf dem Balkon vom ‘kleinen Häuschen’ nach den Blumenkästen gesehen habe, ist meine Katze mitgekommen und hat mich auf eine Tür aufmerksam gemacht. Eine Tür. Verschlossen. Sie hat sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie auch diese Tür ausprobieren muss. Jetzt.

Natürlich kenne ich diese Tür. Sie kennt sie auch, aber wie mir klar wird, tatsächlich nur von aussen… Hier, oberhalb vom alten Schweinestall, der zu einem sehr ansehlichen Raum umgebaut wurde, gibt es unter Dach noch ein kleines Gästezimmer. Ein richtig reizendes Dachzimmerchen eigentlich, das ich aber nie genützt habe. Miene Katze hat recht, wie immer: höchste Zeit für eine Inspektion. Sie schiesst vorwärts in den offenen Türspalt, bleibt sofort vorsichtig wippend mit langgestrecktem Hals stehen und sieht sich um. Ein paar vorsichtige Schritte, aber sie entspannt sich schon. Sie ist ja noch im eigenen Revier, und so fremd ist es hier oben offenbar gar nicht. Hurra, neues Gelände, das erkundet werden kann! Doch noch ein ganz neuer Raum! Unbegrenzte Möglichkeiten! Sie verschwindet under den Betten und bleibt erstaunlich lange verschwunden. Sie taucht sehr vergnügt wieder auf, komplett mit Spinnweben überzogen. Ich sollte hier mal saubermachen, nun habe ich ja Hilfe. Sie überlegt, ob sie auf den Schrank kommt, wagt es aber noch nicht. Der Raum ist klein, aber so interessant. Ich kümmere mich inzwischen wieder um andere Sachen, und als ich zurückkomme, liegt sie auf dem Bett. Nun sitze ich hier in unserem neuen Zimmer und schreibe. Sie ist inzwischen mal rausgelaufen und wiedergekommen. Hat sich auf dem Bett eingerollt. Es regnet nicht einmal mehr. Die Sonne dringt durch Nebelschichten. Aber wir haben es hier drinnen gemütlich. Staubig, aber sehr gemütlich.

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