Voriges Jahr haben wir ihre Wege fasziniert verfolgt. Dieses Jahr haben wir, meine Katze und ich, an früheren sommerlichen Abenden schon auf sie gewartet. Bis mir langsam klar wurde: es geht erst los, wenn die Kirschen reif sind. Die Kirschen sind nun zum grössten Teil schon aufgegessen, aber seit dem sind sie wieder unterwegs: Siebenschläfer auf dem Drahtseil.
Am späten Abend kommen zwei Siebenschläfer unter dem Dach hervor, balancierend auf der Telefonleitung, die vom Tal zum Haus heraufführt. Auf dieser Leitung geht es fluchs in luftiger Höhe zu dem Kirschbaum, der zirka 20 Meter weiter talwärts an diese Luftbrücke angrenzt. Und von diesem Baum aus gibt es natürlich zahlreiche Möglichkeiten. Wie praktisch – es wäre ein langer und gefährlicher Umweg, vom Dachstuhl hinabklettern zu müssen, um dann womöglich auch noch ein Stück des Weges am Boden zurückzulegen, wo man für Feinde ja direkt greifbar wäre! Dieses Schauspiel macht den Balkon für meine Katze natürlich besonders attraktiv: stundenlang kann sie auf der Balkonlehne sitzen, den Kopf in den Nacken gelegt, und darauf warten, dass die kleinen, geschickten Nager unter dem Dach hervorkommen. Ein paar Mal musste ich auch schon eingreifen – der Balkon ist zwar mit Katzenschutznetz gesichert, da mir das bei ihren waghalsigen Klettereien beruhigend schien, aber auch so ein Netz kann vermutlich nicht alles aushalten. Und die Kleinen sind oft durchaus in der Stimmung, zu provozieren: sie lassen sich einfach herabhängen, schauen der Katze direkt in die Augen und sind sich ihrer überlegenen Position völlig sicher. Sie sollten sich nicht zu sicher sein: zwischen aufrecht stehender Raubkatze und ihren Herausforderern bleibt nur ein halber Meter. Und eine Katze kann springen oder sich in das Netz hängen. Tut sie auch. Bisher ging alles glatt, auch für die Siebenschläfer, aber ich lasse diese übermütigen Gefährten lieber nicht ganz unbeaufsichtigt.
Ein einmaliger, traumhafter Anblick bot sich mir voriges Jahr. Ein stiller Sommerabend, ich stehe da und geniesse die Ausicht, als zwei elegante Seiltänzer mit buschigen Schweifen direkt vor der Scheibe des riesigen, runden Vollmonds auftauchen… wie eine Cartoonzeichnung? Wie ein Traum? Wohl beides. Vor ein paar Tagen lief es weniger elegant ab: es regnete in Strömen, der erste Siebenschläfer tauchte auf, suchte Halt, kämpfte mit dem Gleichgewicht, und rutsche bäuchlings in hohem Tempo abwärts. Der zweite rutsche, suchte Halt, und schaffte es, umzudrehen und sich wieder zurück zum Dachboden zu hangeln. Tja, auch auf Telefonleitungen sollte man die Wetterverhältnisse berücksichtigen und die Geschwindigkeit anpassen.