Artgerecht Leben

Gute Bedingungen für Sensen und Schnecken

Ich beobachte gerade ganz vertieft, wie meine Katze ihre Zehen wäscht. Die Haut wird wieder ganz rosa, jedes Härchen perfekt weiss, die Nägel sauber. Sie kommt nun immer heim, bevor ein Gewitter losbricht, und ich bin sehr froh darüber. In früheren Jahren habe ich sie recht regelmässig im strömenden Regen gesucht, oder bin ihr sozusagen entgegen gegangen und habe sie ‘gerettet’. Es wäre mir nicht geheuer, wenn sie ewig lang weg bleibt, auch wenn sie einfach nur irgendwo auf besseres Wetter wartet. Für den Kater liegt immer ein Handtuch bereit. Die Gewitter sind schon recht häufig, zu, Glück aber nicht besonders stark. Mit oder ohne Donner schüttet es jeden Nachmittag oder jeden Abend für eine Weile. Wir können nicht über Trockenheit klagen, es ist sehr feucht und nass. An heisseren Tagen ist die Luft dumpf und dick, fast tropisch. Hagel hatten wir auch schon, sicher mehr als fünf Minuten lang, Körner mit zwei cm Durchmesser. Ein Riesenlärm, ein Hexenkessel. Aber das Dach ist noch dicht, der Garten unbeschädigt, bis auf das, was die Schnecken sich einverleibt haben. Für die sind es traumhafte Bedingungen.

Und abgesehen von dem, was den Schnecken zum Opfer fällt, wächst ohnehin alles extrem schnell. Sense und Sichel sind das Werkzeug der Saison, Ende April hatte ich die Zufahrt schon mehrmals gemäht. Ja, es ist ein Schotterweg, also zumindest die Fahrspuren. Dazwischen spriessen Gras und Blumen. Gerade im Frühjahr besonders der Löwenzahn. Letztes Jahr, als ich zwischendurch überhaupt keine Zeit hatte, mich darum zu kümmern, war der Motorraum von meinem Auto gut ausgepolstert – angefüllt mit Löwenzahnsamenflaum. Dieses Jahr meinte ich, es im Griff zu haben. Die Blütenstengel, die so kurz waren, dass sie der Sense entgangen sind, schafften es allerdings über Nacht, in die Höhe zu schiessen. Von der Natur gut programmiert, muss eine ideale Startposition für die Samen erreicht werden. Es gab Tage, am denen ganze Wolken von weichen Minifallschirmen vom Wind bergauf getragen wurden. Was für eine abenteuerliche Aussaat. Welch perfekte Technik. Ansonsten gibt es, dank der Kühe, keine grossen Flächen, die ich pflegen müsste. Und da nehme ich meist eine Sichel, manchmal die Sense. Zum allgemeinen Motorsensengetöse möchte ich gar nicht beitragen, hier wird möglichst unplugged gearbeitet. Dieser alte Hof birgt einen wahren Fundus an wunderschönem Handwerkzeug; es gibt Dinge, von denen ich überhaupt nicht weiss, wozu und wie sie verwendet werden. Es gibt vieles, das unglaublich nützlich und schön und faszinierend ist. Wozu dann die moderne Version anschaffen? Es gibt handgefertigte Sicheln, auch Kornsicheln, in verschiedenen Grössen. Und man sollte nicht meinen, sie sind im Laufe der Zeit stumpf geworden. Ich hatte auch dieses Jahr wieder einen gewaltigen Schnitt im Finger, der Bedarf an Pflastern steigt.

Hier gibt es alles, was man braucht. Prinzipiell. Nur Sense gab es keine. Da brachte meine Mutter mich auf die Idee, beim Gemeindeamt zu fragen. Und tatsächlich, auch dort gibt es einen Fundus an Werkzeug. Vielleicht ist es gar nicht so lange her, dass auch Gemeindeflächen noch mit Sensen gemäht wurden. Auf jeden Fall wurde mir versichert, es würde schon eine geben, ich solle wieder nachfragen. Das hatte ich auch vor, es war aber gar nicht nötig. Eines schönen Abends hatte ich den Blumenkasten am Balkon vom kleinen Häuschen gegossen. Als ich die Holztreppe in Gedanken versunken wieder hinunterging, gebot mir etwas Einhalt. Eine Minute lang stand ich dort und wurde mir erstmal klar darüber, dass diese beeindruckende Metallspitze direkt vor meiner Stirn zu einem Sensenblatt gehörte. Dann versuchte ich, mich zu orientieren, wie es möglich war, dass ich mit meiner Stirn an der Spitze einer Sense stand. Dazu musste ich erstmal die Perspektive ändern. Ich duckte mich unter die Sense hindurch und stellte von der anderen Seite aus fest, dass sie sorgsam über einen Holzbalken gehängt worden war. Perfekt, ausser wenn man sie beim hinaufgehen übersieht und dann fast in die Schneide hineinrennt. Nun begann ich mich zu fragen, ob ich sie denn tatsächlich bislang übersehen haben könnte, als es mir langsam dämmerte: jemand hatte mir eine Sense gebracht! Wahnsinn. Nochmals danke.

 

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